Die Didaktik einer Nachhaltigkeitswissenschaft
Im Folgenden soll deshalb am Beispiel reichhaltiger Lernangebote aufgezeigt werden, wie eine Didaktik auf der Grundlage der Nachhaltigkeitswissenschaft verstanden werden könnte. In einer ersten Annährung wird das Modell der NHW-Didaktik zur Charakterisierung von reichhaltigen Lernangeboten zur Diskussion gestellt (vgl. Abb. 4). Dabei wird gestützt auf Nelson und Vucetich (2012), Ohl (2013), Shrivastava, Stafford Smith, O’Brien und Zsolnai (2020) sowie Clark und Harle (2020) davon ausgegangen, dass solche Lernangebote auf zentrale Aspekte der Nachhaltigkeitswissenschaft aufbauen müssen. Insbesondere Malandrakis, Papadopoulou, Gavrilakis und Mogias (2019, S. 26) haben mit der literaturgestützten Zusammenstellung der Fähigkeiten von Lehrenden im Hinblick auf BNE die folgenden fünf Kompetenzbereiche postuliert, die das fachdidaktische Modell aufnimmt:
a) Systemdenken, hier: gekoppelten Systemperspektiven auf analytisch-kognitiver Ebene;
b) Wissen, hier: faktische Komplexität und fachliche Kontroverse;
c) Ethik und Werte, hier: ethische Komplexität und moralische Kontroverse;
d) Handlungen, hier: viable Iteration;
e) Emotionen und Gefühle, hier: affektiv-emotionale Ebene.
Lernangebote im Sinne der NHW-Didaktik zeichnen sich folglich dadurch aus, dass sie von gekoppelten Gesellschafts-Umwelt-Systemen ausgehen. Das heisst, sie bedienen sich nicht ausschliesslich der natürlichen Systeme (z.B. nur Fragen der Biodiversität) oder ausschliesslich der sozialen Felder (z.B. nur Fragen der sozialen Diversität), sondern immer beider Systemperspektiven parallel. Des Weiteren weisen sie im Rahmen einer deskriptiven Auseinandersetzung faktische und ethische Elemente komplexer Wechselwirkungen auf, die nicht vollständig regelbar, sondern nur iterativ beinflussbar sind. Sie befinden sich zudem auf einer normativen Ebene im fachlichen und moralischen Spannungsfeld konträrer Ansprüche. Solche Zielkonflikte sind ebenfalls nicht lösbar. Es bleibt bei solchen Lernangeboten nur eine aktive Iteration mit einem steten neu abwägen der Handlungsentscheide und einem Anpassen der Ansprüche (Wilhelm & Rinaldi 2023). Typisch Lernangebote hierfür sind Simulationen, Planspiele oder Reallabor, die ein solch iteratives Probehandeln ermöglichen. Schliesslich gilt es aufgrund des Zusammenspiels von Emotion und Kognition (Ciompi, 1993) beim Lernen auch die affektiv-emotionale Ebene zu berücksichtigen. So neigen Menschen vor dem Hintergrund eines situationsabhängigen Gewissheitsbedürfnis, welches sie gerade auch bei Lernangeboten, wie Simulationen erleben können, zum intuitiven Vereinfachen, zu reflexartiger Widerrede und zu spontanen Pseudolösungen. In einer BNE sollen Herausforderungen der Menschheit thematisiert werden und auch die negativen Emotionen, welche sie auslösen können. Diesen Platz zu geben und sie auch formulieren zu können, ist zentral. So können eigene Sorgen kritisch diskutiert werden (Ojala, 2013). Es ist jedoch menschlich, den vermeidlich einfacheren Weg zu wählen und Unsicherheit und Desorientierung zu meiden oder zu verdrängen. Das eigene Weltbild in Frage zu stellen und sich der Ungewissheit zu stellen, scheint eine unattraktive Alternative zu sein (vgl. Mälkki, 2019). Das Meiden dieser Emotionen kann das kritische Hinterfragen verhindern, weshalb die Berücksichtigung und Auseinandersetzung mit den Emotionen in einem BNE-Kontext von großer Bedeutung sind (Grund & Singer-Brodowski, 2020).